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Vollständiger Text

Der Text musste aus redaktionellen Gründen gekürzt werden, daher hier noch der ursprüngliche, vollständige Leserbrief:

"Mit großer Freude stelle ich fest, dass das Insektensterben durch Spektrum der Wissenschaft zum Titelthema gemacht wurde. Als "Bürgerwissenschaftler" mit naturwissenschaftlicher Ausbildung, der sich seit 30 Jahren intensiv mit der Beobachtung von Tag- und Nachtfaltern im Raum Wuppertal befasst, kann ich mich den Ausführungen von Prof. Settele nur anschließen. Wir blicken mit dem Naturwissenschaftlichen Verein Wuppertal auf mehr als 150 Jahre dokumentierte Schmetterlingsbeobachtung zurück. Aus diesen Daten geht eindeutig hervor, dass der wesentliche Artenverlust, insbesondere bei hoch spezialisierten Arten, mit der Flurbereinigung in den 1950er Jahren einher ging. Damals verschwanden mit Hecken umsäumte kleinteilige Parzellen zu Gunsten großer Agrarflächen, die leicht maschinell zu bewirtschaften sind. Das Problem für die Tag- und Nachtfalter: nicht nur der Nektar für die Falter war verschwunden, sondern auch die Nahrungspflanzen der Raupen: Weide, Schlehe, Weißdorn, Holunder und viele andere Gehölze sowie diverse Kräuter in Saumbereichen. Nur mit Blühstreifen an Ackerrändern wird es daher für Schmetterlinge nicht getan sein. Für die zahlreichen Nahrungsspezialisten unter den Schmetterlingen kommt es ganz entscheidend auf die Förderung ihrer Raupenfutterpflanzen an.  Ein weiteres trägt die Versiegelung der Landschaft bei: Schmetterlinge überwintern je nach Art als Ei, Raupe, Puppe oder Schmetterling. Alle diese Stadien brauchen ihre speziellen Verstecke: Nischen und Ritzen, Höhlen, Steinhaufen, Reisig usw. und dies im Verbund mit den Lebensräumen der Falter und Raupen. In unseren aufgeräumten Landschaften gibt es leider keinen Platz mehr für ein bisschen "Unordnung". Dies alles wurde spätestens in den 1980er Jahren erkannt und zahlreich publiziert, jedoch kaum beachtet. Über Jahrzehnte wurden Insektenkundler von der Politik - zumindest gefühlt - als liebenswerte Querulanten mit Außenseiterhobby angesehen. Aus meiner Sicht ist es nun wichtig, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden: Niemand will Landwirtschaft wieder wie im Mittelalter betreiben, aber kann man der Natur angesichts unserer Überproduktion nicht etwas zurückgeben? Die Bauern sind auch nicht Schuld an der Misere, sie sind wirtschaftlichen Zwängen unterworfen, die die falschen Anreize setzen. Wenn wir Insekten als wertvolle Ressource erkennen, dann kann man die Förderung von Insekten auch finanziell vergüten. Wenn nur ein Teil der Agrarflächen statt zur Zucht von Kühen und Schweinen durch öffentliche Förderung zur "Zucht" von Insekten z.B. im Sinne eines Vertragsnaturschutzes verwendet würden, wäre schon sehr viel gewonnen. Dies gilt insbesondere im Umfeld bereits bestehender kleinflächiger, in Agrarlandschaft verinselter Naturschutzgebiete. Abschließend noch ein Appell an die Politiker: Bitte verschonen Sie uns mit dem nächsten Arbeitskreis und der nächsten Expertenkommission. Die Ursachen für unsere Probleme sind mehr als offensichtlich, es ist Zeit sofort zu handeln."